Der Bär und die Biene

„Auch Genuss kann das Bewusstsein schärfen.“
Reiner Kunze

Am Abend des elften November beschloss Wronski, sich seiner Frau zu entledigen. Diese Ehe war gegessen. Er hatte es satt. Ein für allemal.
„Nun schling doch nicht so! Du musst langsamer essen. Weißt du denn nicht, dass dein Gehirn dir frühestens nach einer Viertelstunde signalisiert, dass du genug hast – egal, wieviel du bis dahin in dich hinein geschaufelt hast“, sagte Sabine Wronski.
Wie hasste er ihre Spatzenportionen! Essen in homöopathischen Dosen! Das hatte doch nichts mit Genuss zu tun, eher mit Folter, grausamer Selbstbestrafung. Ein einziger Blick in eine spiegelnde Schaufensterscheibe genügte, um eindeutig festzustellen: diese beiden Menschen passten einfach nicht zueinander. Er ein Kerl von zweieinhalb Zentnern Mann, ein Genussmensch, das konnte jeder sehen und sie ein dürres Täubchen von knapp fünfzig Kilo Lebendgewicht – lächerlich!
Naja, früher, da sah er das anders. Der Bär und die Biene, das hatte was. Man lächelte ein wenig über das ungleiche Paar, doch dieses Lächeln beinhaltete augenzwinkernde Zustimmung, stillschweigendes Bewundern. Die Zarte und ihr Beschützer.
Das war früher. Aber jetzt ist heute. Sie wollte die Dinge nicht so bestehen lassen, wie sie nun einmal waren. Sie wollte partout die Veränderung. Das ist doch nicht richtig! Also hatte sie auch die Konsequenzen zu tragen. So einfach ist das.
„Jetzt tust du dir schon zum dritten Mal auf. Zweimal wäre auch genug gewesen. Und Wronski, du trinkst zuviel. Rotwein in Maßen ist gesund, ich weiß, ich weiß. Aber du, du trinkst nicht in Maßen. Du säufst unmäßig und das ist nicht gesund. Das weißt du doch selbst, das brauche ich dir doch nicht zu sagen.“
„Und weshalb sagst du es mir dann tagein tagaus?“, protestierte Wronski. „Du schmälerst meine Lebensfreude.“
„Von schmälern kann bei dir ja nun wirklich nicht die Rede sein, eher im Gegenteil“, entgegnete sie schnippisch, und ihr war nicht klar, dass sie mit diesen Worten letztendlich ihr eigenes Todesurteil gesprochen hatte.

„Biene, du hast ja Recht“, sagte Wronski. Das war am siebzehnten November. „So kann und darf es einfach nicht weitergehen. Ich werde etwas tun. Ich werde mich radikal ändern, das verspreche ich dir. Ab morgen esse ich nur noch jeden zweiten Tag. Du wirst sehen, bald bin ich ein schlanker Mann, dann kannst du stolz auf mich sein.“
Das saß. Biene war sprachlos. Sie starrte Wronski an und suchte nach Worten. Schließlich wurde sie fündig.
„Wronski, mir fehlen die Worte.“
Das hatte er soeben bemerkt.
„Sag mal, wie kommst du denn auf solch eine Idee? Obwohl, ich muss sagen, das hört sich aber gut an. Fabelhaft! Ich weiß gar nicht...“
Volltreffer!, dachte Wronski.
„Tja, weißt du, neulich, beim Frisör, da las ich in der Frau im Spiegel so einen Bericht. Irgendein Ernährungswissenschaftler meinte, jeden zweiten Tag zu essen, sei eine äußerst effiziente Methode der Gewichtsreduzierung. Und das Tolle ist, du kannst diese Art Diät ohne Qualen durchhalten, meinte jedenfalls der Wissenschaftler. Noch ehe dein Körper wirklich bemerkt, dass ihm etwas fehlt, kannst du ja schon wieder essen und trinken. Ganz normal, genauso wie vorher. Tatsächlich aber reduzierst du deine Nahrungszufuhr exakt um die Hälfte. Im Grunde nichts anderes als FdH, nur einfacher.“
„Genial!“, sagte Biene.
Und tatsächlich, schon am darauffolgenden Tag verzichtete Wronski standhaft auf jegliche Form der festen Nahrungsaufnahme, trank ausschließlich Mineralwasser und ungezuckerten Tee, zeigte sich überdies in allerbester Laune.
„Um einen längerfristigen Erfolg zu erzielen, muss man seine Essgewohnheiten grundlegend umstellen“, dozierte Wronski.
„Ich werde von nun an für uns kochen und zwar fettreduziert und streng natürlich.“
Die Biene erkannte ihren Bären nicht wieder. Immer häufiger stand er in der Küche, um neue Gerichte auszuprobieren, er studierte Kochbücher, achtete penibel auf natürliche Ingredienzien und nahm ab, ein Kilo pro Woche.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erstand Wronski einen Trainingsanzug und Laufschuhe und rannte täglich eine halbe Stunde durch die Siedlung.
„Na, Wronski, hat dich jetzt auch die Midlifecrisis erwischt?“, frozzelte Nachbar Willi. Doch Wronski ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Du solltest auch mal etwas für deinen Körper tun“, keuchte er.
„Mach ich doch, mach ich doch! Jeden Tag mindestens vier Flaschen Bier!“, rief Willi dem Läufer nach, doch das hörte Wronski nicht mehr, war schon hinter der nächsten Ecke verschwunden.

„Heute bereite ich dir etwas Schönes“, sagte Wronski, „es gibt Fisch, leicht verdaulich, eiweißreich und schmackhaft. Ich habe schon alles vorbereitet.“
„Aber Bärchen, lass uns doch lieber morgen gemeinsam essen. Heute ist doch dein Fastentag“, gab Biene zu bedenken.
„Keine Widerrede! Wer weiß schon, was morgen ist? Heute ist heute und da will ich dich ein wenig verwöhnen.“ Wronski entschwand in die Küche und Biene ins Badezimmer.
Sie badet, dachte Wronski, und augenblicklich sah er vor seinem geistigen Auge den kleinen Fön...doch schon eine knappe Stunde später rief er die mild duftende Biene an den für nur eine Person gedeckten Tisch.
Es war der achtundzwanzigste November.
„Ob du eben noch eine Flasche Wein aus dem Keller holst?“, bat Wronski, und Biene, erfüllt vom Glück über seinen neuen Lebenswandel, marschierte sogleich in Richtung Keller. Wronski, die steile Kellertreppe vor Augen...trug seine liebevoll angerichtete Kreation ins Esszimmer.
„Bärchen, Kräutersardinen!“, jauchzte Biene begeistert. „Weißt du noch, damals in Portugal?“
Natürlich wusste er noch – damals in Portugal! Jedes verdammte Glas Vino verde hatte sie ihm nachgezählt, jeden, auch den kleinsten Bissen registriert.
„Und wie das duftet! Köstlich! Schade, dass du nicht mitisst!“
„Morgen, Biene, morgen“, sagte Wronski und seine Stimme klang ein wenig versonnen. „Lass es dir schmecken!“
Während Biene, wohl, um ihrem Gatten eine Freude zu bereiten, kräftig zulangte, begnügte Wronski sich mit einem Glas Mineralwasser, lediglich verfeinert mit einer halben Zitronenscheibe.
„Nicht, dass ich meckern will, Bärchen, aber irgendwie schmeckt es ein bisschen bitter.“
„Das wird am Chicoree liegen. Hab wohl aus der Mitte nicht genug herausgeschnitten. Weißt du eigentlich, dass Gourmets einen Hauch von Bitterkeit durchaus mögen? Das war früher noch stärker verbreitet. Heutzutage weiß man dezente Bitterstoffe kaum noch zu schätzen.“
Biene aß ihren Teller restlos leer. Selbstverständlich hielt sie sich für eine Feinschmeckerin, darauf legte sie gesteigerten Wert.
„Soll ich uns den Kamin anmachen?“, fragte Wronski. „Wir setzen uns gemütlich ans Feuer.“
„Ach, Bärchen,“ seufzte Biene.
Er zerknüllte mehrere alte Tageszeitungen und schichtete kunstvoll ein paar Holzscheite darüber. Das sah aus, wie ein Indianer-Tippi. Gelernt ist gelernt. Dann zündete er das Papier an.
Wronski griff in seine Jackentasche und entnahm ihr eine kleine, viereckige Tüte. Wie oft hatte er in den vergangenen Tagen die Aufschrift gelesen: Goldregen-Samen (laburnum vulgare). Achtung! Hochgiftig! Keinesfalls in Kinderhände geraten lassen!
Er zerdrückte das leere Papiertütchen in seiner Hand und warf das Knäuel ins lodernde Feuer.
„Biene, das Feuer brennt!“ Biene antwortete nicht.
Ja, das Leben ist bitter!


aus: Kai Engelke, „Der Vollzeit-Erschrecker“, Kriminalgeschichten, Leer 2002


Gebratene Kräutersardinen

Zutaten für vier Personen:
10 Gramm frische Petersilie
3-4 Knoblauchzehen, gepresst
8-12 Sardinen, küchenfertig vorbereitet
2 Esslöffel Zitronensaft
50 Gramm Mehl
½ Teelöffel Kreuzkümmelpulver
4 Esslöffel Olivenöl
Salz und schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen
Fladenbrot (frisch aufgebacken) und Chicoreeblätter bzw. grünen Salat zum Servieren

1. Petersilie fein hacken und mit dem Knoblauch in einer kleinen Schüssel vermischen.
2. Diese Mischung mit den Fingern in und auf den Sardinen verteilen. Mit dem Zitronensaft beträufeln. Zudecken und an einem kühlen Platz etwa 2 Stunden ruhen lassen, sodass die Fische alle Aromen aufnehmen können.
3. Das Mehl auf einen großen Teller geben und mit Kreuzkümmel, Salz und Pfeffer würzen. Die Sardinen im Mehl wälzen.
4. Das Öl in einer großen Bratpfanne erhitzen und die Sardinen portionsweise etwa 5 Minuten pro Seite braten, bis sie knusprig sind. Im Backofen warm halten, bis alle Fische fertig sind. Mit Fladenbrot und Salat servieren.

Guten Appetit!