Drei Gedichte
von Kai Engelke


Föhringer Herbst

Promenadenbäume laublos
vom kühlen Seewind gestreichelt lautlos
Schaufenster schauen blind vergilbt
aufs Meer
hinter verschlossenen Türen
häufen Vermieter
zufrieden ihre Beute
das Klavierkonzert des
berühmten japanischen Pianisten
fand vor zwei Monaten statt
nur die Möven sind noch immer da
Zimmer frei mit Blick
aufs Wasser im Hafen
drei Krabbenkutter
touristenunbestaunt
grüne Insel heimlich grau jetzt
in kahlen Ästen schlafen
Sommergeräusche

Ich denke an einen
lungenkranken Herrn
im weißen Leinenanzug
und eine alte Frau führt
ihren Hund spazieren

Hansens Haus

in Seebüll kleine graue
Betonfestung inmitten
leuchtend bunter Noldeblumen
offenliegend jetzt und verwundbar

aufgewühltes Meer mit
weißen Schaumkronen unter
drohend schwarzem Himmel
wissende Gesichter die
Geschichten erzählen und
ungemalte Bilder
Dennochbilder
Zeugen barbarischer Vergangenheit

und in den Gängen:
freundliche Bürger in
korrekten Anzügen und Kleidern
schon immer auf der
richtigen Seite – natürlich
Judasblicke hinter Sonnenbrillen
notdürftig nur getarnt


Unterwegs auf dem Wasser

nach England zu meiner Schwester
Familienfragmente vorübergehend
mit zaghaftem Leben zu erfüllen
vor dem Hintergrund babylonischen
Sprachgewirrs: Gedanken an Erich Fried
der lebte in Swingin‘ London
unterwegs auf dem Wasser nach England
durchzittert die stampfende Fähre meinen
Körper und das Gedicht
das jemand für seine Mutter schrieb
(„Als meine Mutter drei Tage tot war“)
meine Seele

Unterwegs auf dem Wasser
zu meiner Mutter auf der kleinen
Nordseeinsel bin ich wohl zu selten
zurück ins Jetzt:
unterwegs auf dem Wasser nach England
auf zigarettenglutdurchlöcherten
Plastiksesseln hingestreckte Menschen
schlafend andere vom vermeintlich
preisgünstigen Alkohol betrunken
apfelsinenschalen- und papiertütengeschmückt
torkeln lallend durch die Gänge
dann im Dunst endlich zum allerersten Mal
sehe ich Englands Steilküste
jetzt ein Schluck belgisches Dosenbier
und ´ne Dutyfree-Zigarette
du sprichst so oft von deiner Mutter
sagte neulich einer zu mir