von Kai Engelke
„Ich war verrückt, Boxer zu sein und dabei das Gras anzulächeln.“
Arthur Cravan, Box-Poet
Auf die Frage, weshalb er Boxer geworden sei, antwortete der irische Leichtgewichts-Champion
Barry McGuigan: „Weil ich kein Dichter sein kann. Ich kann keine Geschichten
erzählen.“ Doch scheint genau das, was der Boxer als vermeintlichen
Gegensatz formulierte, eine durchaus nicht seltene Allianz zu sein: Poeten treibt
es zuweilen nahezu zwanghaft in die verschwitzte Nähe knallharter Faustkämpfer.
Norman Mailer schrieb fachkundig übers Boxen und fightete auch selbst,
ebenso Georges Simenon, Bertolt Brecht, Jack London und Ernest Hemingway; letzterer
managte zeitweilig den kanadischen Boxer Larry Gaynes. Jean Cocteau befasste
sich mit dem Boxsport, George Bernard Shaw schuf den ersten Boxer der Romanliteratur,
Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky thematisierten den Fausttkampf, in jüngerer
Zeit waren es vor allem Nicolas Born, Jörg Fauser und Wolf Wondratschek,
die sich geradezu liebevoll und absolut kenntnisreich mit der verpönten
Sportart auseinandersetzten. Die Reihe der boxbegeisterten Dichter ließe
sich endlos fortsetzen.
„Es ist nicht nur für die Mentalität sensibler Intellektueller
eine Herausforderung, dass einem Menschen einfallen kann, Boxkämpfe faszinierend
zu finden, sich an ihnen gar aktiv zu beteiligen. Ganz unerträglich ist
die Vorstellung, dass es auch Dichter waren und Schriftsteller, und nicht die
schlechtesten, die sich der absurden Kühnheit schuldig gemacht haben, diesen
Sport, sein Milieu und seine Helden zu verstehen, zu beschreiben – und
manchmal mit gutem Grund, zu verherrlichen“, schreibt Wolf Wondratschek.
Aber welches sind denn nun die guten Gründe, die sensible Kopfarbeiter
an und in die Arenen der modernen Gladiatoren unserer Zeit drängen? Ist
es der Mythos des Unerlaubten? Die Ausübung körperlicher Gewalt ist
verboten - nicht jedoch im Boxring. Macht die vielzitierte Verbindung zum halbseidenen
Rotlichtmilieu vielleicht den Reiz aus?
Sind es die Verliere, die Geschlagenen, die am Boden Liegenden, die die Poeten
gleich scharenweise anlocken? Die Geschundenen und Erledigten sind immer für
eine Story gut.
Sind es gar nur die profanen Verlockungen der Publizität?
„...die meisten Dichter sind ein öffentlichkeitsgeiles Volk; Boxen
ist in, das Privatfernsehen sorgt für Publizität, also pilgert das
Volk herbei“, mutmaßt der Schriftsteller Peter Gerdes.
Oder ist es vielleicht die Sehnsucht von körperlich unterentwickelten Geistesgrößen,
die eigene Unzulänglichkeit durch Anschluss an einen Athleten zu kompensieren?
„...dass man diejenigen Fähigkeiten, die selbst zu entwickeln man
einfach nicht in der Lage ist, bei einem anderen Menschen sucht, an den man
sich dann mehr oder weniger innig anschließt“, schreibt Peter Gerdes
unter der treffenden Überschrift „Die intellektuelle Lust am Leberhaken“.
Durch ihre Aura eignen Boxer sich vorzüglich, eine Stellvertreterposition
einzunehmen. Der Boxskeptiker Günter Kunert stellt sich ab und zu, wenn
er einem schwachen Boxer zuschaut, seinen Verleger vor und freut sich, wenn
dieser dann kräftig aufs Haupt bekommt.
Womöglich ist es genau das, was schon Heinrich Heine meinte, als er 1837
schrieb: „Die Bildung vernichtet bei dem Künstler jene scharfe Akzentuierung,
jene schroffe Färbung, jene Ursprünglichkeit der Gedanken, jene Unmittelbarkeit
der Gefühle, die wir bei rohbegrenzten, ungebildeten Naturen so sehr bewundern.
Der Boxer ist – zumindest während seiner Arbeit im Ring – nur
das, was er unmittelbar tut und sonst gar nichts.
Vielleicht spielt auch ein gewisser Respekt vor denjenigen eine Rolle, die ganz
unten landen und trotzdem sofort wieder aufstehen, die auch aussichtslose Kämpfe
stolz durchstehen. „Schläge hinnehmen können, stehn...“,
formulierte Gottfried Benn seine Hochachtung vor dem Boxer.
Menschen schlagen, verletzen, entwürdigen vernichten ihresgleichen im alltäglichen
Überlebenskampf; allerdings nach Möglichkeit ungesehen, im Dunklen,
heimlich, feige, hinterrücks.
Gibt es eine direktere, unverhülltere und damit ehrlichere Art des Kräftemessens
als einen fairen Boxkampf?
„Wie verträgt sich Ihre Liebe zur Poesie mit der Liebe zum Boxen?“
wurde der Lyriker, Kabarettist und Sportreporter Werner Schneyder gefragt, und
er antwortete: „Ich will alle Facetten des Lebens wahrnehmen. Nur weil
ich das Glück habe, ein gebildeter Mensch zu sein, kann ich nicht verleugnen,
dass auch noch etwas anderes in mir ist.“
Poesie fasziniert, führt schon mal in die Irre, aber auch in die Tiefe,
weckt Emotionen, zeigt neue Wege, vermittelt Angst, auch Entspannung, vor allem
jedoch macht sie Verborgenes sichtbar. All das trifft - wenn man so will - auch
auf das Boxen zu.